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Ganz selbstverständlich sprechen Menschen – unsere Sprache definiert uns geradezu als Menschen. Sprechen ist für uns so natürlich wie aufrecht gehen, essen, verdauen oder schlafen. Und wir können nicht nicht sprechen. Selbst wenn wir nichts sagen: ist Denken nicht, wie Platon meinte, ein inneres Reden, das „Gespräch der Seele mit sich selbst“? Es funktioniert normalerweise, so wie im Alltag die Verständigung mit andren zumeist klappt. Nur manchmal gerät man ins Stocken, ins Stottern: Sprechen und Sprache verstehen sich nicht mehr von selbst. Dann muss man – darüber reden. Natürlich wissen wir, was Sprache ist. Wir beherrschen unsere Muttersprache ja, sogar im Schlaf. Doch wissen wir wirklich, was wir tun, wenn wir reden? Tatsächlich ist es nicht leicht, über unser Sprechen und über die Sprache zu sprechen, etwa grammatische Regeln des Deutschen explizit zu formulieren, Wortbedeutungen und Redewendungen zu definieren, einen Sachverhalt ganz präzise auszudrücken, zu sagen, warum man gewöhnlich etwas so und nicht anders sagt. Obwohl das andere nicht falsch wäre, nur ein bisschen komisch oder irgendwie seltsam klingt. Und so einfach lässt sich auch nicht sagen, was menschliche Sprache überhaupt ist. Gefragt, sagt man wahrscheinlich sofort, dass sie ein Kommunikationsinstrument sei, der Menschen untereinander. Inhalt der Kommunikation, so ginge es wohl weiter, seien Gedanken, Gefühle, Erkenntnisse über die Welt. Oder gar die Wirklichkeit selbst, so wie sie ist –, so wie jeder, wie jede sie wahrnimmt, subjektiv –, oder doch eher objektiv – –, vielleicht intersubjektiv …? Da muss man – drüber reden. Sprache als Instrument und Medium Denn wie, wenn Sprache noch mehr wäre als bloß ein Mittel, um andern etwas mitzuteilen, das im übrigen von ihr so verschieden wäre wie vom Topf die Suppe, die in ihm kocht. Wie, wenn Sprache mehr als 'bloß' ein Mittel der Verständigung der Menschen untereinander wäre: nämlich das humanspezifische Instrument, um die Welt zu erkennen? Und wie, wenn Sprache noch viel mehr als ein Werkzeug nur wäre, nämlich Medium der Kognition, und nicht bloß ein Medium unter anderen, sondern das grundlegende Element, in dem und durch das und vermöge dessen wir die Welt und uns selbst erkennen und denken? Wie, wenn Sprache in dieser kognitiv-medialen Funktion unverzichtbar und unersetzbar wäre, weil sie damit Voraussetzung aller Erkenntnis ist? Ohne Sprache – kein Gedanke – keine Welt im Kopf! Oder, und noch radikaler, nämlich religiös, mit Johann Georg Hamann: „Ohne Wort, keine Vernunft – keine Welt“1, keine real existierende Schöpfung. Und: „Vernunft ist Sprache LOGOS“2. Obwohl der Zusammenhang von Denken und Sprechen, von Sprache und Kognition und ihrer biologischen Hardware, dem Gehirn, wissenschaftlich auch 2013 noch nicht hinreichend geklärt ist, scheinen heute der „linguistische Relativismus“ und die Überzeugung von der Sprachlichkeit oder vom Sprachformat des Denkens in weiten Teilen der Forschung Konsens zu sein: Ohne Wort keine Kognition, Sprache ist ein Konstituens und Formans, Bedingung und Model des Denkens. Mit andern Worten: die Sprache, die ich spreche, bestimmt, determiniert mein Denken zwar nicht, sie beeinflusst es aber. Und sie be-stimmt es nicht, indem sie einem Gedanken, der sich sprachlos bildete, erst nachträglich Stimme gäbe, Wort; Worte sind vielmehr an der Bildung des Gedankens und damit am Inhalt der Erkenntnis selbst beteiligt. Johann Georg Hamann war im 18. Jahrhundert einer der ersten, der diese Sprachlichkeit und Körpergebundenheit der Vernunft, damit auch die Perspektivität des Denkens und Fühlens und die Sinnlichkeit der Sprache ernst nahm: einerseits, indem er in seinen Texten und Briefen häufig darüber sprach, andrerseits auch performativ, indem er so schrieb, wie er schrieb. Der logosgläubige Magus „Seit Heraklit und Platon fragt die abendländische Philosophie nach dem Verhältnis von Vernunft und Sprache. [… ] Eine Alternative zu den üblichen Bearbeitungen der Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Sprache bietet Johann Georg Hamann. Sein Lebenswerk liegt darin, das Problem des Verhältnisses von Vernunft und Sprache nicht nur in seinem Gewicht gespürt, sondern es im präzisen Widerspruch zum vorherrschenden philosophischen Willen bearbeitet zu haben. Es lösen zu können, beansprucht er freilich nicht.“3 Hamann setzt Vernunft und Sprache, Denken und Wort, Logos, gleich – als lutherischer Christ. Sprache als Logos – als christliche, nicht griechisch-humanistische, Einheit von Gedanke und Wort und Körper – war das Lebensproblem des unorthodoxen Protestanten und polyglotten Philologen, Bücherfressers und Vielfraßes, des bekennenden Melancholikers und Stotteres Johann Georg Hamann, der als Übersetzer und Packhofverwalter am Königsberger Zoll, als kleiner Beamter im preußischen Staatsdienst, den Lebensunterhalt für seine Familie gerade so eben zusammenbrachte, der dennoch als „Magus in Norden“ Geistesgeschichte schrieb. 1784 bekennt er gegenüber Herder, der sein Schüler gewesen war: „Ich krähe immer von meinem kleinen Misthaufen. […] Wenn ich auch so beredt wäre wie Demosthenes [berühmter antiker Rhetor; S. Sch.], so würde ich doch nicht mehr als ein einziges Wort dreimal wiederholen müssen. Vernunft ist Sprache LOGOS; an diesem Markknochen nag’ ich und werde mich zu Tod drüber nagen. Noch bleibt es immer finster über dieser Tiefe für mich: Ich warte noch immer auf einen apokalyptischen Engel mit einem Schlüssel zu diesem Abgrund. […] Ich muss glauben und befinde mich wohl dabei, aus Not Tugend zu machen.“4 Hamann war Sprach-Denker durch und durch. Das Problem der Existenz stellte sich ihm als Sprachproblem, weil er Sprache fundamental und als Christ verstand. Er glaubte an den Logos in Lutherscher Interpretation: an das Wort, aus dem, nach der Genesis des Alten und dem Johannesevangelium des Neuen Testaments, der jüdisch-christliche Gott die Welt geschaffen hat, das jedes Wesen in seine Existenz setzt und darin hält, das seine Essenz, sein Sein, bestimmt5. Das mag eine Passage Martin Luthers verdeutlichen: „Und hüte dich, wenn du diese Worte hörst: Und Gott sprach, daß du nicht etwa denkest, als seien es vergängliche Worte, wie wir Menschen sprechen, sondern wisse, daß es ein ewig Wort sei, das von Ewigkeit gesprochen ist, und immer gesprochen wird. So wenig als Gottes Wesen aufhöret, so wenig höret auch das Sprechen auf. [...] Darum, so lange eine Creatur währet, so lange währet das Wort auch, so lange die Erde trägt [...]; so geht immer das Sprechen, ohn Aufhören [...]. Siehe, da ist Gott, also daß alle Creaturen in ihrem Wesen und Werken ohn Unterlaß getrieben und gehandhabt werden durch das Wort.6 So spricht das „h“, der kleinste, gehauchteste, fast nicht existente Laut, in Hamanns „Neuer Apologie des Buchstaben h von ihm selbst“ ganz Lutherisch: „Mein Dasein und meine Erhaltung ist die Sache desjenigen, der
alle Dinge trägt mit seinem kräftigen Worte und der geschworen
und gesagt: ‚Bis dass Himmel und Erde zergehen, wird nicht zergehen
der kleinste Buchstab noch ein Tüttel’ –“7 Als Sprach-Denker bewegte sich Hamann im christlichen Mythos. Er dachte schöpfungstheologisch und eschatologisch. Am Anfang steht die Utopie des Logos und der U-topos, Nicht-Ort, schlechthin: das Paradies – am Ende sein Gegenstück: der Himmel und die Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit "von Angesicht zu Angesicht" ( 1 Kor 13,12). Gott ist für den Magus der „Poet am Anfang der Tage“8, der die Welt ins Dasein spricht und darin sich selber ausspricht: „Gott offenbaret sich – der Schöpfer der Welt ein Schriftsteller“9. Die Welt ist Schöpfung, göttliche Poesie und Poiesis, jedes Naturding in seinem Kern Wort Gottes und seine Physis „die sinnliche Offenbarung seiner Herrlichkeit“10. Es selbst spricht sein Wesen in seiner Erscheinung aus, Innen und Außen entsprechen einander, so dass die Schöpfung eine „Rede an die Kreatur durch die Kreatur“11 ist. Der Mensch ist erschaffen, diese „Natursprache“ zu sehen und zu hören, zu betasten und zu schmecken: zu verstehen. Das gelingt dem „Mensch[en] am Anfange“12, in seiner Ursprünglich-, in seiner Natürlichkeit. Der natürliche ist der vollkommene Sprecher: der biblische Adam, der einfach nach- und ausspricht, was sich ihm zeigt und was er fühlt. Adams Wahrnehmung ist nach „Des Ritters von Rosencreuz letzte[r] Willensmeinung über den göttlichen und menschlichen Ursprung der Sprache“13 rational und imaginativ unverstellt, seine Sprache Produkt höchster Rezeptivität und Sensibilität. Seine Offenheit für die Welt ist Empfänglichkeit für Gott: Hamann denkt als Christ sensualistisch, Sprechen und Denken gehen aus den „Sinnen und Leidenschaften“14 bei größtmöglicher Gottesnähe hervor. Die Adamische Sprache ist konkret. Adam konzipiert nicht spontan und autonom Begriffe und Lautformen, sondern der Schöpfer selbst ist Ursprung und eigentliches Subjekt seiner Rede. So hat Adam „lebendige Worte“15 im Mund, denkt er den göttlichen Logos und spricht ihn als dessen passives Medium aus: „Wie traf Gott Adams Gedanken? Adams Gedanken waren Gottes und Gottes Adams“16. In den Worten des ersten Menschen ist Bedeutung zugleich sinnlich und metaphysischer SINN, sind die Gedanken Gottes mit den Naturdingen in ihrer sinnlichen Konkretion, um mit George Steiner zu sprechen, „real präsent“17. Wer so spricht und in seinen Worten erkennt, Namen gibt und gebraucht, zwingt die Natur nicht in seine subjektive Vernunftform (vgl. Idealismus, Kant, Konstruktivismus), sondern er ist eins mit ihr, seine Vernunft eins mit der der Welt und sein Wort ist identisch mit dem, was es 'bezeichnet'. Sprache, Denken, Wahrnehmung, Erscheinung, Wesenskern und Gott sind eins in der Einheit des Logos. Die menschliche Sprache ist Nachahmung der Sprache der Natur und des göttlichen Wortes. Worte und Äußerungen sind wahr, denn sie sprechen aus, was der Fall ist; Begriffe und Ausdrücke stimmen und sie bergen Erkenntnis; auch das Ich versteht sich selbst vollkommen, insofern es die Frage nach sich selbst noch nicht hat stellen müssen, unschuldig ist. In seinen Worten ist es vor sich selbst, der Welt und Gott nackt: Adam ist im Paradies. Das ging dem Menschen bekanntlich verloren, mit ihm die Einheit des Logos und seine Präsenzstruktur. Diesen Mythos kennt Hamann natürlich auch, mehr noch: Er glaubt an ihn. Tatsächlich ist es nicht die gegenwärtige Sprache, an der Hamann seinen Begriff von Sprache-überhaupt entwickelt und die wahre Struktur der menschlichen Sprache festmacht. Er setzt religiös, als „Philologe des Kreuzes“18, als christlicher Denker und Dichter, nicht im heutigen Sinn linguistisch an, obwohl er zugleich sprachwissenschaftlich auf der Höhe seiner Zeit ist. Seiner Auffassung von einer ursprünglichen und allgemeinen Menschensprache – heute würde man von „Universalsprache“ sprechen – liegen die überlieferten Vorstellungen der „Adamischen Sprache“ oder einer „Engelsprache“19 und des „lebendigen Wortes“ zugrunde, die sich an der Sprache der Natur, der „Rede [der Schöpfung] an die Kreatur durch die Kreatur“ ‚ausrichten‘. 1772 hat er dies in „Des Ritters von Rosencreuz letzte[r] Willensmeinung über den göttlichen und menschlichen Ursprung der Sprache“ ausgemalt: „Adam also war Gottes; und Gott selbst führte den Erstgeborenen und Ältesten unsers Geschlechts ein, als den Lehnträger und Erben der durch das Wort seines Mundes fertigen Welt. Engel, lüstern sein himmlisches Antlitz anzuschauen, waren des ersten Monarchen Minister und Höflinge. Zum Chor der Morgensterne jauchzeten alle Kinder Gottes. Alles schmeckte und sah, aus erster Hand und auf frischer Tat, die Freundlichkeit des Werkmeisters, der auf seinem Erdboden spielte und seine Lust hatte an den Menschenkindern – Noch war keine Kreatur, wider ihren Willen, der Eitelkeit und Knechtschaft des vergänglichen Systems unterworfen, worunter sie gegenwärtig gähnt, seufzet und verstummt, gleich dem delphischen Dreifuß und der antimachiavellischen Beredsamkeit des Demosthenes an der Silberbräune; oder höchstens in der wassersüchtigen Brust eines Tacitus keucht, röchelt und zuletzt erstickt – – Jede Erscheinung der Natur war ein Wort, – das Zeichen, Sinnbild und Unterpfand einer neuen, geheimen, unaussprechlichen, aber desto innigern Vereinigung, Mitteilung und Gemeinschaft göttlicher Energien und Ideen. Alles, was der Mensch am Anfange hörte, mit Augen sah, beschaute und seine Hände betasteten, war ein lebendiges Wort; denn Gott war das Wort. Mit diesem Worte im Munde und im Herzen war der Ursprung der Sprache so natürlich, so nahe und leicht wie ein Kinderspiel“20. Klingt das nicht alles wunderbar-märchenhaft und bezaubernd, irrational(istisch) – oder aber, bei aller Elaboriertheit, fürchterlich naiv? Kein Aufgeklärter kann so denken, schon gar nicht heute, wo jedem die Re-präsentationsstruktur der Sprache selbstverständlich ist. Hamann ist natürlich kein Aufklärer, doch er ist erst recht nicht naiv. Biografischer Exkurs – „Wiedergeburt“ in London Als Vertreter des Handelshauses Berens in Riga war Johann Georg Hamann in handelspolitischem Auftrag 1757/58 in London unterwegs, ein junger Heißsporn und Melancholiker, der wie seine Freunde Immanuel Kant und Johann Christoph Berens den neuen Strömungen der Zeit nahestand. In London verkehrte er in Coffeehouses, die für ihre Männergesellschaften und ihre Exzesse berüchtigt waren, wochenlang ließ er sich von Adligen aushalten – und erschrak abgrundtief über seine Gesellschaft, als er die Homosexualität seiner Freunde bemerkte. Johann Georg scheiterte beruflich und brach, vollkommen abgebrannt, vereinsamt, depressiv und voller Selbstverachtung, psychisch zusammen. Bei der Lektüre der Bibel fängt er sich und erlebt seine körperliche, seelische und geistige Restitution als christliche „Wiedergeburt“, als er seine „Gedanken über meinen Lebenslauf“21 niederschreibt. Jetzt entwickelt er als Christ-aus-Berufung die Grundlagen seines Sprachdenkens und wendet sich gegen seine Freunde in London, Königsberg und Riga. Dem Todesstoß, den die Aufklärung der Offenbarungsreligion versetzen könnte, wiedersetzt er sich ebenso wie dem endgültigen Scheitern des Menschen, das für ihn Rationalismus und Atheismus, aber auch ein deistischer Empirismus herbeiführen würden. All dieses Neue erneuert in seiner Sicht den biblischen Sündenfall, mit dem die Hybris des Subjekts und die Spaltung all dessen, was ursprünglich eins war, für es begann. Die Realität der Sprache – Repräsentation und defiziente Nachahmung des Logos Die Utopie der Sprache ist für Hamann der eine Logos mit Gott als dem schöpferischen Poieten und Poeten22, mit der Schöpfung als seiner Poesie und dem Menschen als in seiner Poesie vollkommen Verstehendem und Sprechendem: „Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts“23. Die Realität der Sprache jedoch ist Prosa24, die Vielheit der Zungen und Perspektiven, die, modern gesprochen, Arbitrarität und Konventionalität des Wortes bzw. Zeichens und der Gebrauch der Sprache als eines Re-präsentationssystems mit allem dadurch bedingten Miss- und Nichtverstehen. Mit der berühmten Stelle aus der „Aesthetica in nuce“: „Rede, dass ich Dich sehe! – – Dieser Wunsch wurde durch die Schöpfung erfüllt, die eine Rede an die Kreatur durch die Kreatur ist; denn ein Tag sagts dem andern, und eine Nacht tuts kund der andern. Ihre Losung läuft über jedes Klima bis an der Welt Ende und in jeder Mundart hört man ihre Stimme. – – Die Schuld mag aber liegen, woran sie will (außer oder in uns): wir haben an der Natur nichts als Turbatverse und disiecti membra poetae zu unserm Gebrauch übrig.“25 Die Natur, so die Diagnose Hamanns, ist „in Wahrheit“ Poesie. Uns jedoch erscheint sie wie durcheinandergeworfene Verse, die kaum wieder in ihre ursprüngliche Ordnung zu bringen sind. Die Natur ist der zerstückelte Körper des ersten Dichters, Gottes, des Logos – nicht an sich, ihrem Wesen nach, aber für die Menschen seit dem Sündenfall, verschärft in der Perspektive der aufgeklärten Zeitgenossen, die nicht an den Logos glauben, sondern, „in die älteste Schoßsünde der Selbstabgötterei konzentriert“26, an ihre „hochgelobte Vernunft mit ihrer Allgemeinheit, Unfehlbarkeit, Überschwenglichkeit, Gewissheit und Evidenz […] Ein Ens rationis, ein Ölgötze, dem ein schreiender Aberglaube der Unvernunft göttliche Attribute andichtet“27. Weder an eine Sprache, noch an eine Poesie, die sich aus der Idee einer Natursprache hervorschreibt, glauben seine Zeitgenossen: Hamann gibt sich als ein Vertreter der Hermeneutik und des modernen Natursprachedenkens zu erkennen, das die menschliche Sprache als hermeneutisches Teilsystem, als defizitäre Repräsentation des alldurchziehenden Logos interpretiert. Darin nimmt die Poesie eine herausragende, das Ich und die Schöpfung heilende Funktion ein – und noch im 20. Jahrhundert hat die Idee einer Adamischen oder einer Natursprache in Konzeptionen poetischer Sprache und Vernunft utopische und maßstabsetzende Kraft.28 Den „natürlichen Gebrauch der Sinne von dem unnatürlichen Gebrauch der Abstraktionen zu läutern, wodurch unsere Begriffe von den Dingen eben so sehr verstümmelt werden, als der Name des Schöpfers unterdrückt und gelästert wird“, und die Glieder des zerstückelten Poeten „zu sammeln ist des Gelehrten; sie auszulegen, des Philosophen; sie nachzuahmen – oder noch kühner! – – sie in Geschick zu bringen des Poeten bescheiden Teil“29. Historische Bedingung der Möglichkeit dieser Restitution ist Christus, der „neue Adam“30. Er hat prinzipiell die Welt von der Sünde und die menschliche Sprache von ihrer Logosfremdheit, ihrer bloß willkürlichen Repräsentationsfunktion, erlöst. In seiner Doppelnatur als Mensch und Gott, die durch den Heiligen Geist vermittelt ist, garantiert er - mit repräsentationstypischen Begriffen gesprochen - die strukturelle Einheit des Wortes als Signifikant und Signifikat, Ausdruck und Bedeutung, Münze und Wert31, Materie und Geist, als logoserfüllte Materie. Zum andern verbürgt er in dieser Einheit des Entgegengesetztesten, philosophisch: der „coincidentia oppositorum“32, die Welthaltigkeit, die Referenzialität des Wortes. Dass menschliche Sprache strukturell „Nachahmung“, Repräsentation der Wirklichkeit sein kann, liegt in der Einheit des Logos in Gott, der Natur und den Menschen begründet, die durch Christus wiesderhergestellt worden ist. Die Einheit des Wortes in der geschichtlciehn Welt ist parakletisch vermittelte, dialektische Totalität, coincidentia oppositorum nach dem Muster der christlichen communicatio idiomatum33: „Diese communicatio göttlicher und menschlicher idiomatum ist ein Grundgesetz und der Hauptschlüssel aller unsrer Erkenntnis und der ganzen sichtbaren Haushaltung.“34 Weil sie als Ebenbilder Gottes vom Heiligen Geist erfüllt sind, ihre Sprache durch ihn eingesetzt, „Sakrament“35, und sie wie die gesamte Schöpfung durch Christus erlöst ist, können Menschen potentiell richtig und wahr über die Welt sprechen – nachparadiesisch allerdings unter dem Vorbehalt der Sünde. An ihr liegt es, dass sie faktisch nicht wahr und richtig sprechen, Sprache nicht universal und pure Mimesis, Erkenntnis nicht vollkommen ist, dass Sprache bloßes Zeichen und Repräsentation, konventionell und arbiträr ist. Im Essen vom „Baum der Erkenntnis“ konstituierten sich der Rationalismus und die Selbstüberhebung des Menschen unter dem Versprechen, alles wissen zu können: „ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“ (Genesis 3). Ich weiß, dass ich nicht weiß Dagegen setzt Hamann das christliche Bewusstsein strukturell-fundamentaler Unwissenheit. Im Horizont der Sünde und des Rationalismus nimmt er den alten Topos von den heidnischen Sibyllen und Propheten auf und erinnert die Docta ignorantia des Paulus in eins mit dem „Ich weiß, dass ich nicht weiß“ des Sokrates. Indem er über dessen Bild das des Apostels Paulus, des „großen Lehrers der Heiden“36, legt, deutet der Magus Sokrates als christlichen Weisen im heidnischen Gewand und in diesem auch sich selbst als einen Weisen. Mit den „Sokratischen Denkwürdigkeiten“ vollzieht er „auf eine persönliche und originale Weise die gedankliche Verschmelzung der hellenischen und christlichen Welt aufs neue“37. Weisheit besteht im Paulinischen Bewusstsein der Unwissenheit: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ (1 Korinther 13,12) Hamann-Sokrates weiß, dass er den Logos nicht, nur menschliche Sprache und die Vielfalt der Sprachen hat, die ihm Erkenntnis und Sprechen lediglich nach ihrem „Genie“, innerhalb ihrer „Weltansicht“ (Humboldt) jeweils perspektivisch und in je spezifischer „Lokalität, Individualität und Personalität“38 erlauben. Aus dieser Einsicht der Vernunft in ihre Beschränktheit komme die Konversion, ein qualitativer Sprung in den Glauben. Hier müsse „das Korn aller unserer natürlichen Weisheit verwesen, in Unwissenheit vergehen […], und […] aus diesem Tode, aus diesem Nichts das Leben und Wesen einer höheren Erkenntnis neugeschaffen hervorkeimen“39: der Glaube. In seinem Sammelband „Kreuzzüge des Philologen“ inszeniert sich Hamann schon „mit dem Wort vom Kreuz in der Aufschrift seines Buches“40 als „kreuzziehender Philolog“, „Philologus crucis“41. Und mit Anspielung auf Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ und seine herrschaftliche, gesetzgebende und scheidende, in allen Menschen als identische postulierte Vernunft schreibt er Jacobi: „Unsere Vernunft muss warten und hoffen – Dienerin, nicht Gesetzgeberin der Natur sein wollen.“42 Im Grunde sind alle seine Texte und Briefe „fliegende Blätter“43, Flugblätter, als „Hirtenbriefe“44 des „Magus in Norden“, geschrieben in seiner unverwechselbaren – „kabbalistischen Prose“: kämpferisch und sendungsbewusst, enthusiastisch und emphatisch, voll praller Sinnlichkeit, doch zugleich reflektiert, dunkel und hell, rhetorisch und subjektiv zugleich, Kreuzzüge gegen den Rationalismus, seine Vernunft mitsamt ihrer Sprache, die sich nicht in Abhängigkeit vom Logos weiß, sondern sich selbst gottgleich autonom setzt, das Subjekt zu seinem eigenen Ursprung macht und „selbst offenbaren will“45. Das Sprachprinzip der Vernunft Steht er mit einem Bein fest im Barock, hat Hamann das andre weit ins 20. Jahrhundert ausgestreckt. Auf der Höhe der Sprachreflexion seiner Zeit durch die Lektüre von alten und neuen Grammatiken und Grammatiktheorien, von Wörterbüchern, philosophischen und theologischen Schriften, eilte der Magus seinem Jahrhundert auch voraus. Sprachwissenschaftliche und sprachphilosophische Diskurse des 20. Jahrhunderts können sich auf Hamann beziehen. Hamann hat die Geistesgeschichte der letzten 250 Jahre mit geprägt, indem er der Aufklärung entgegentrat mit seiner Kritik am modernen Verhältnis des Subjekts zu seinem Körper, zur Natur und zu seiner Psyche, zu seiner Vernunft, seiner Rationalität, seiner Sprache. Christlich-fundamentalistisch hielt er der Selbstbestimmung des Subjekts als leiblos-autonomer Vernunft und der Definition seines Welt- und Leibbezugs als Herrschaft den Spiegel vor: „Vom Himmel muss unsere Philosophie anfangen – und nicht vom Theatro Anatomico und den Sectionen eines Cadavers“46. Aus Konservativismus dachte er an, was mehr als 150 Jahre später unter Stichworten wie „linguistic turn“, „linguistischer Relativismus“ und „Perspektivismus“, „Universalsprache“, „Sprachlichkeit der Vernunft“ oder „nicht-cartesianische Sprachkonzeption“ begann, virulent zu werden, und auch bei den Magus Tages 2010 und 2011 verhandelt wurde. In jüngster Zeit treiben diese Ansätze psycho- und neurolinguistische Hightech-Experimente hervor, die evident machen, dass die grammatischen und semantischen Schemata der Sprache tatsächlich beeinflussen, wie wir die Welt denken, wie wir sie körperlich wahrnehmen sogar – wie sehr wir geprägt sind durch Tradition und Muttersprache47. Hamann hat als einer der ersten in der Moderne das sprachliche Format der Gedanken, das „Sprachprincipium der Vernunft“48, und die Einheit des Individuums wie die Einheit der Natur, auch im Bild der „Ehe“ von Körper und Geist, propagiert. Dabei zerschneidet er aber das Band zwischen der Welt und den Menschen, die in ihr leben, sie erleben und erkennen, Kants transzendentalphilosophischem Ansatz und allen Konstruktivismen des letzten Jahrhunderts zum Trotz, nicht. Andrerseits knüpft er es auch nicht empiristisch, sondern beharrt auf einem Dritten, dem Verstehen, Hermeneutik: „Philosophie ist aus Idealismo und Realismo: wie unsere Natur aus Leib und Seele zusammengesetzt. […] Die Schulvernunft teilt sich nur in Idealismum und Realismus. Die rechte und echte weiß nichts von diesem erdichteten Unterscheid, der nicht in der Natur der Sache gegründet ist, und der Einheit widerspricht, die allen unsern Begriffen zum Grunde liegt, oder wenigstens liegen sollte.“49 Enger als Descartes oder Leibniz denkt er die Verbundenheit der Menschen untereinander und fasst die Eingebundenheit des Individuums in die Gesellschaft und in die Kette der Generationen wie in die Natur als nicht aufzukündigendes In-der-Welt-Sein. Die konstitutive, bindende und tradierende Rolle schreibt er dabei der Sprache zu: „Ohne Sprache hätten wir keine Vernunft, ohne Vernunft keine Religion, und ohne diese drei wesentliche[n] Bestandteile unserer Natur weder Geist noch Band der Gesellschaft.“50 Susanne Schulte
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