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Ohne Wort, keine Vernunft – keine Welt
Schriftsteller und Wissenschaftler im Wortwechsel
mit Johann Georg Hamann

2. – 6. November 2010, Münster


Die Magus Tage Münster fragen nach der Sprache, mit dem "Magus in Norden", Johann Georg Hamann aus Königsberg, der 1788 in Münster starb. Sprache war das Kernproblem des unorthodoxen Protestanten und bekennenden Melancholikers, des Bücherfressers, Vielfraßes und polyglotten Stotterers, der als Übersetzer und Packhofverwalter am Königsberger Hafen in preußischen Staatsdiensten sein Brot verdiente und als "Magus in Norden" Geistesgeschichte schrieb. Hamanns Grab befindet sich auf dem Überwasser- friedhof in Münster, der wichtigste Teil seines Nachlasses liegt in der dortigen Universitäts- und Landesbibliothek.

Alle Menschen sprechen – dass wir sprechen, definiert uns geradezu als Menschen. Sprechen ist für uns so natürlich und normal wie der aufrechte Gang. Und wir können ja nicht nicht sprechen. Denn selbst wenn wir nichts sagen – ist Denken nicht ein inneres Reden, das "Gespräch der Seele mit sich selbst" (Platon)? Es funktioniert in der Regel, so wie im Alltag die Verständigung mit den andern meistens klappt. Doch bei all ihrer Selbstverständlichkeit: Sprechen und Sprache verstehen sich nicht von selbst.

Wortwechsel über Sprache und Sprechen

Natürlich wissen wir, was Sprache ist und was wir tun, wenn wir sprechen! Wir beherrschen unsere Muttersprache ja. Doch wissen wir auch, darüber zu sprechen?

Gefragt, sagt man schnell, dass Sprache ein Kommunikationsmittel ist. Der Menschen untereinander. Was man aber kommuniziert, ist sodann schon schwieriger zu sagen: Gedanken, Gefühle. Äußere Sachverhalte. Erkenntnisse über die Welt. Da huscht das Beispiel vom "Abendstern", der auch "Morgenstern" heißt und der Planet "Venus" ist, dazwischen –: Ist Sprache ein Mittel von Erkenntnis, ein Medium der Kognition, oder verstellt sie das bessere Wissen von der Welt, das uns die Wissenschaften liefern? Speichern die Wörter, reflektiert die Grammatik die Welt, wie sie ist – oder lenken sie den Blick nur in ausgewählten Perspektiven auf sie? Und wie verhält sich dieses geistige Ding mit dem lautlichen Körper, der Begriff mit seinem Ausdruck, wie stehen Sätze und Satzbau zu den handfesten Dingen der Welt und den flüchtigen Phänomenen des Geistes. Bedeuten die Wörter – die Welt? Oder nur unsere Vorstellungen von ihr und weisen sie zurück auf den menschlichen Geist, der sie frei erfindet? Und wie, wenn jede Sprache ihre eigene Welt erschüfe und das Denken jedes Menschen durch seine Muttersprache bestimmt wär’! Bestimmt Sprache Denken oder be-stimmt die Sprache das Denken, gibt ihm nachträglich ‚nur’ Stimme? Und wie steht all dies in Beziehung zur biologischen Hardware, zu unserem Gehirn? Welches Band hält Sprache, Welt, Vernunft und Körper zusammen, wer oder was garantiert, dass das Sprechen Inhalt hat? Und was hat es erst mit der Sprache der Poesie auf sich...

Was ist Sprache, was ist das: Sprechen? "Wenn niemand mich danach fragt", bemerkte Augustinus im Hinblick auf die Zeit bekanntlich, "weiß ich es; wenn ich es einem Fragenden erklären will, weiß ich es nicht."

Sprachdenker Hamann

Hamann, der stotterte, war Sprachdenker: "Philologe", Liebhaber des Wortes, allerdings als Christ. Hamann, der ein Bekehrungserlebnis in London hatte, war Protestant durch und durch, jedoch bejahte er den Leib, Sinnlichkeit und Genuss. "Philologe des Kreuzes" nannte er sich selbst. Ein Sprachgläubiger als Logos- und Schöpfungsgläubiger: das göttliche Wort hat die Welt erschaffen, es erhält sie, jedes Wesen ist in seinem Kern Sprache ("Natursprache"). Ein Sprachgläubiger als Christ: das göttliche Wort ist Fleisch geworden, Materie; durch Christus ist es Grund der menschlichen Sprache und Vernunft. "Wenn ich auch so beredt wäre wie Demosthenes, so würde ich doch nicht mehr als ein einziges Wort dreimal wiederholen müssen. Vernunft ist Sprache Λογος [Logos]; an diesem Markknochen nag' ich und werde mich zu Tod drüber nagen".

Hamann suchte, das Wunder der Sprache und des Denkens, des menschlichen, an den Körper gebundenen Geistes und seiner primären Äußerungsweise, aus seinem Glauben heraus zu begründen. Dabei kam er zu erstaunlich modernen Überlegungen, die auf säkulare Theorien des 20. Jahrhunderts vorausweisen.

Magus Tage Münster 2010 : Bestimmt Sprache Denken?

Die Magus Tage Münster 2010 widmen sich dem Zusammenhang von Sprache und Denken, Denken und Sprechen.

Die Magus Tage heben bei dem Lebensproblem Hamanns an und benutzen es als ‚Sprungbrett’ in die aktuelle Diskussion. Ein Bekenntnis Hamanns liefert die Überschrift dazu: "Ohne Wort, keine Vernunft – keine Welt." Im Untertitel fragen wir ganz direkt: "Bestimmt Sprache Denken?"

Im Ausgang von Hamann wird auf dem heutigen Stand der Geistes- und Naturwissenschaft sowie der Dichtung die Frage, die den Magus zeitlebens umtrieb und die noch immer nicht gelöst ist, interdisziplinär diskutiert:

Literatur

Literarische Originalbeiträge als Auseinandersetzung mit Hamanns Kernsätzen "Ohne Wort, keine Vernunft – keine Welt" und "Vernunft ist Sprache, Logos" präsentieren im Programmformat FLIEGENDE BLÄTTER Sibylle Lewitscharoff (Berlin), Christian Lehnert (Wittenberg) und Peter Waterhouse (Wien).

Geistes- und Naturwissenschaft

Aus der Sicht ihres jeweiligen Fachgebiets tragen diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihr SCHERFLEIN bei: die Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Elisabeth Leiss von der Ludwig-Maximilians-Universität München, die Sprachphilosophin Dr. Sabine Marienberg, die Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft "Funktionen des Bewusstseins" an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ist, die Neuropsychologin Dr. Jutta Mueller vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, die Psycholinguistin Dr. Barbara Schmiedtová von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, derzeit Center for Advanced Study at the Norwegian Academy of Science and Letters Oslo, und der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Trabant, der als "Weisheitsprofessor" den Lehrstuhl für Europäische Mehrsprachigkeit an der Jacobs University Bremen School of Humanities and Social Sciences innehat. Mit einem GRUSS AUS KENIG ist außerdem der Philologe und Germanist Prof. Dr. Wladimir Gilmanov von der Immanuel Kant-Universität in Kaliningrad/Königsberg zu Gast in Münster.
Zum Auftakt der Magus Tage wird der neue HAMANN-FORSCHUNGSPREIS unter Federführung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster verliehen

Rezitation

Im Programmformat PHILOLOG trägt der Schauspieler Martin Feifel ausgewählte Texte Hamanns vor.

Musik

Mit pianistischen NÄSCHEREYEN von Johann Sebastian Bach und Toru Takemitsu gibt Annika Treutler den Lesungen, Vorträgen und Diskussionen den musikalischen Rahmen.

 

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